- Währenddessen in der Bar -
Die Stimmung in der Bar kippte ruckartig.
Keiner der anwesenden Gäste befand sich mehr auf seinem Platz.
Alle, egal ob Dirne oder Trunkenbold, sie alle blickten auf den jungen Mann inmitten des Raumes, und dachten nur an das hohe Kopfgeld, welches auf jenen ausgesetzt war.
Ein jeder von ihnen hatte den gleichen Gedanken.
Dieses elende, versoffene Leben hinter sich lassen und mit dem Geld, dass sie bekommen würden, wenn sie ihn ablieferten, etwas neues anzufangen.
Die Männer und Frauen standen um den jungen Mann herum, als sie ihn dabei beobachteten, wie er seinen großen Mantel ablegte.
Der Wirt sschaute daher, als hätte er dem Leviathan persönlich in die Augen gesehen, und bekam kein Wort heraus.
Er ärgerte sich innerlich.
Wie konnte er nur nicht erkennen, wer da vor ihm stand.
Jeden Tag zur Mittagszeit kam ein Soldat vorbei um ihm die neusten und aktuellsten Steckbriefe auszuhändigen, wofür er ein kleinen Gegenlohn bekam.
Der junge Mann legte seinen Mantel auf einen der vielen nun leeren Tische, wodurch sein großes Waffen Arsenal zum Vorschein kam.
Zwei lederne Gürtel mit jeweils zwei Pistolen kreuzten sich über seiner Brust.
Ein weiterer Gürtel schnürte sich um seine Leiste und war Träger seines langen Säbels.
Ein Schmied würde wohl eher von einer Art Langschwert reden, als von einem handelsüblichen Piratensäbel.
Unter all seinen Waffen trug er ein feines, sauberes, weinrotes Leinen Hemd, welches er auf seiner Reise auf See einem feinen Mann entwendete.
John schaute sich in der dunklen Spelunke um und wartete auf weitere Reaktionen.
Plötzlich ein Geräusch hinter ihm.
Eine der jungen Dirnen versuchte hastig die Bar zu verlassen.
Sie schnellte von ihrem versoffenen Kunden, von dem sie natürlich schon sämtliche Besitztümer gestohlen hatte auf und lief los.
Mit dem eigenen Rock in der Hand, um in dieser angespannten Situation bloß nicht zu stürzen, rannte sie in Richtung Tür.
Sie war sich sicher gewesen, dass sie den ruhigen Moment für sich nutzen könne um so zu entkommen.
John reagierte schnell.
Eine kurze Handbewegung an den Gürtel, die Pistole gezückt, rasch anvisiert, Feuer!
Ein dumpfer Knall durch-schnellte den Raum, als die Kugel nur um Haaresbreite an dem blond gelockten Kopf der jungen Dame in der Tür einschlug.
Keiner der anwesenden Gestalten konnte die Schnelligkeit dieses Schusses nachvollziehen.
Alle schauten sie die Frau an, die sich ruhig von der Tür abwandte und daneben langsam mit dem Rücken zur Wand in Richtung des Bodens rutschte.
Ihre weit geöffneten Augen musterten den Mann, der keine sechs Meter weit weg von ihr stand.
Von ihm aus ging ein leicht gräulicher Rauch, der einen Moment lang sein Gesicht verdeckte und somit keinen Aufschluss auf seine nächste Aktion zuließ.
Der Wirt, der immer noch fest an seinem Gewehr festhielt, wandte sich dem Schützen zu.
„Junge, ich will hier wirklich keinen Ärger haben.
Sag mir bitte was du willst und ich gebe es dir, aber bitte keinen weiteren Ärger.“
John Wandte sich ihm zu.
„Weißt du...das Problem an der ganzen Sache ist, dass ich nur hier bin, weil ich den Ärger brauche.“
Er blickte in eine Mischung aus gleichzeitig verängstigten und zudem ratlosen Gesichtern.
„Dennoch...
es wird niemandem in diesem lokal etwas passieren.
Alles was ich will ist, dass wir warten bis die Soldaten der East India Trading Company hier sind.
Diesen Schuss dürften nicht einmal diese Idioten überhört haben.“
Er drehte sich in Richtung der schockierten Dirne.
„Verehrteste, ich bin wirklich untröstlich.
Ich wollte sie mit meinem Verhalten wirklich nicht verängstigen...
allerdings musste ich hier meinen Standpunkt klar machen.“
John Tew ging auf die verängstigte Frau zu und half ihr auf die Beine.
„Kommen sie, ich spendiere ihnen einen Drink.“
Er ging langsam mit der Frau in Richtung des Tresen.
Was sie dabei nicht bemerkte, war, dass ihres Diebesgut, welches sie sich im Laufe des Abends zusammen ergaunert hatte, durch den großen Schock, ziemlich unsicher an ihr haftete.
So kam es, dass ihr eine Geldbörse unter dem Kleid hervor rutschte und auf den Boden fiel.
Normalerweise wäre so etwas in einer Bar nicht sonderlich aufgefallen, aber durch die jüngsten Umstände und die damit einhergehende Stille, war die herabfallende Geldbörse, neben dem jungen Piraten, das zweite Highlight des Abends.
Der Mann, der von der Dirne als letztes bedient wurde, machte einen Satz nach vorne und griff nach seinem Eigentum.
John Tew entging dies nicht.
„Ohh, verdammt...“
Der versoffene Mann schrie:
„Du elende Diebin, ich dachte du liebst mich und wir wollen heiraten...“
Ein weiterer Mann meldete sich zu Wort:
„Was soll das?
Ich dachte wir wären Seelenverwandt...“
Ein weiterer Trunkenbold schrie laut:
„Meine Geldbörse ist weg!“
John Tew erkannte die neue Situation, in der er sich befand.
Sein Plan war es eigentlich gewesen, die Leute in der Bar so sehr zu verängstigen, dass er die Kontrolle behalten konnte, bis die Soldaten eintreffen würden.
Aber daraus war wohl nichts geworden, denn ihm war völlig bewusst, was nun passieren würde.
John nahm die junge Frau eifrig an der Hand und sagte:
„Meine Liebe, ich kann auf keinen Fall zulassen, dass diese Männer sich an ihnen vergehen, also werde ich mich für sie opfern.“
Während der junge Mann mit der Dirne redete, griff er ihr rasch und mit geschickter Hand unter das Kleid.
Die Frau war zuerst verwundert, lies es sich bei dem guten Aussehen des jungen John Tew aber nicht nehmen, es zu genießen.
Als John seine Hand wieder hervor zog, sprang er mit einem Satz auf einen der Tische, hob seinen rechten Arm und schrie:
„Gentleman, jeder, der seinen Wertgegenstand wieder zurück haben möchte, sollte nun besser horchen.“
In seiner Hand befanden sich mehrere Ketten sowie Geldbörsen.
Plötzlich unterbrachen die Gestalten ihr Geschrei.
John Tew versuchte weiterhin die Kontrolle über die Situation in der Bar zu halten, indem er die Leute mit ihren Wertgegenständen erpresste.
Allerdings dauerte es sich nicht lange, bis er bemerkte wie die Stimmung in dem Lokal erneut kippte.
Er betrachtete die Männer mit einem skeptischen Blick.
Was er noch vor einem Moment als Angst und Respekt in den Gesichtern der Männer sehen konnte, hatte sich in Zorn und Vergeltung gewandelt.
Er senkte seinen Arm und lies die Wertsachen auf den Boden fallen.
Seine Linke Hand zog er vorsichtig und mit bedacht langsam in Richtung der Kreuz-Gürtelschnalle mit den anderen drei Pistolen.
Sämtliche Männer in der Spelunke taten es ihm gleich.
Man konnte regelrecht zählen wie viele Lunten auf einmal zum Vorschein kamen.
Ob unter dem Mantel, Am Bein festgeschnallt, oder unter dem Tisch hervor gezogen, das Lokal wimmelte plötzlich nur so vor dem tödlichen Eisen.
Es war ruhig, zu ruhig.
Ein jeder wusste, dass es nun nicht mehr viel benötigte, um die Situation völlig außer Kontrolle geraten zu lassen.
Die Frauen versteckten sich rasch hinter Stühlen und Tischen.
Sie waren alle bereit.
Auf Einmal durchdrang ein Geräusch die Spelunke.
Es waren Schritte.
Schritte, die immer lauter und präsenter wurden.
Der gute John schaute in Richtung der Tür.
Vielleicht war das die Chance, die ihm jetzt das Leben retten könnte.
Plötzlich ertönte ein lautes Geräusch und die Beiden Türhälften knallten mit so enormer Wucht gegen die Innenwand der Bar, das einige Bilder, die an dieser befestigt waren, sofort herabfielen.
Fünfzehn Soldaten der East India Trading Company betraten mit Schwertern, Pistolen und Gewehren das Lokal.
Sie richteten ihre Läufe auf sämtliche Gestalten in der Bar.
„Keiner bewegt sich oder macht auch nur irgendeinen Murks, ansonsten werden wir schießen!“
John dachte sich, jetzt oder nie.
Mit starrem Blick auf die Soldaten, zog er eine seiner Pistolen und richtete sie auf die brennende Öllampe, die sich direkt über den Köpfen der Soldaten befand.
Und erneut, gezückt, gezielt, gefeuert.
Die Lampe zersprang in hunderte von Teilen, welche nun über den Köpfen der Soldaten herabregneten.
Dies war der Anlass, für die Situation in dem Lokal zu eskalieren.
Es fing mit einem Seemann an, der anfing auf einen anderen Seemann zu schießen, da dieser ihm und dem Glück mit seiner Dirne anscheinend im Wege stand.
Jener wurde getroffen und flog zwei Meter weit weg über Tisch und Stuhl.
Ein weiterer setzte seinen Lauf direkt auf John an, um sich für all den Ärger zu revanchieren, dem er ihm bereitete.
Dies entging dem jungen Piraten natürlich nicht, und sofort duckte er sich und sprang vom Tisch.
Während nun auch mittlerweile der Wirt angefangen hatte wild um sich zu schießen, um die Leute davon abzuhalten seinen Laden zu zerstören, mischten sich nun auch die Marine Soldaten mit ein.
„Man könnte meinen, man wäre in Tortuga.“
John suchte den Schutz eines Tisches, während er sich vor den ihm entgegenkommenden Schüssen in Acht nahm.
Er musterte die Spelunke und suchte nach einem sicheren Ausweg.
Sofort fiel ihm die Treppe in den ersten Stock auf, von welcher er durch die Fenster vermutlich auf die Dächer gelangen könnte.
Er wollte gerade in Richtung der Treppe laufen, als er bemerkte, wie ein Offizier durch die Eingangstür kam.
Dieser zückte mit rascher Hand eine Pistole und schoss einem Mann, der vor seinen Augen einen Soldaten im Schwitzkasten hatte, in den Rücken.
„Was hat das alles hier zu bedeuten?“
Einer der Trunkenbolde legte sofort seine Pistole nieder und wandte sich ihm zu.
„Das ist alles die Schuld von dem jungen Burschen da drüben.
Es hat alles angefangen, als er den Laden betreten hat.“
Der Offizier musterte John, während der Trunkenbold weiter erzählte.
„Sir, das ist John Tew, der Sohn von ihr wisst schon wem.“
Dem Offizier lief es eiskalt den Rücken runter und er merkte wie sich die Haare auf seiner Haut langsam aufstellten.
Er dachte sich, dass er eine solche Chance vermutlich kein zweites mal bekäme, einen der berüchtigten Tew Piraten fassen zu können, immerhin handelte es sich hier um den Kapitän der Piratenbande.
John Tew lieferte sich ein kurzes Blickduell mit dem hoch angesehen Mann, bevor er ihm ein freches Grinsen zu warf.
Er machte einen Satz und fing an in Richtung der Treppe zu rennen, immer darauf achtend in Deckung zu bleiben.
Der Offizier griff nach der Pistole einer seiner Soldaten und setzte einen Schuss ab.
Dieser verfehlte John nur knapp, aber trotzdem lies er sich davon nicht aus dem Konzept bringen.
Der Offizier zog sein Schwert und ging ebenfalls mit raschem Schritt in Richtung der Treppe.
Er musste sich den Weg frei kämpfen, da sich die Bar mittlerweile in einem Kriegs – ähnlichen Zustand befand.
Er gab einigen seiner Soldaten das Zeichen ihm zu folgen.
John war mittlerweile auf der obersten Stufe angekommen, und blickte kurz hinter sich, während er auf eines der vielen Zimmer im obersten Stock zu lief.
Ohne groß nachzudenken schlug er die Tür mit seinem Körper auf und rannte in den Raum hinein.
Er schaute sich um und analysierte, welches der drei Fenster in dem Raum wohl das geeignetste wäre um vor den Soldaten zu fliehen.
John entschied sich für das Fenster, welches entgegengesetzt der Richtung des Marktplatzes gerichtet war.
Er schob den hölzernen Rahmen des Fensters nach oben und kletterte hinaus.
Dabei lies er das Fenster mit Absicht offen stehen, da er wollte, dass ihm die Soldaten folgten.
Mit einigen wenigen Handgriffen und einem kurzen Stöhnen, kletterte er weiter auf das Dach.
Oben angekommen, observierte er kurz die Lage.
Er sah, dass sich immer mehr Soldaten auch aus anderen Teilen der Stadt diesem Platz näherten.
John blickte empor in Richtung des Marktplatzes.
„Na dann, Jack, der Rest hängt von dir ab.“